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Anforderungen an die finanzgerichtliche Prüfung von Hinzuschätzungen

Der BFH hat in zwei Verfahren finanzgerichtliche Entscheidungen wegen fehlerhafter Überprüfungen von Hinzuschätzungen aufgehoben. So verstößt ein Finanzgericht demnach gegen Verfahrensgrundsätze, wenn es sich in wesentlichen Punkten lediglich auf „allgemein zugängliche Quellen im Internet“ stützt und diese Quellen weder per Ausdruck dokumentiert noch konkret benennt. Ferner hat der BFH für solche Prüfungen die Wahrung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit angemahnt.

Prüfung eines Gewinnaufschlags

In einem Urteil vom 28.5.2020 hat der BFH die Rechtsprechung eines Finanzgerichts aufgehoben, weil dem klagenden Steuerpflichtigen die Quellen des beklagten Finanzamts nicht offengelegt wurden und somit die Transparenz und die Möglichkeit zur Gegendarstellung fehlten.

Im zugrundeliegenden Verfahren hatte das FG Hamburg die Einnahmen- und Umsatzhinzuschätzungen bei einer Diskothek überprüft, die ein Finanzamt im Zuge einer Betriebsprüfung vorgenommen hatte. Das FG wandte in dem Urteil vom 3.9.2019 (Az.: 2 K 218/18) einen sog. äußeren Betriebsvergleich an und legte hierbei einen Rohgewinnaufschlagsatz von 300% zugrunde. Es verwies für diesen Wertansatz u.a. auf eine spezielle interne Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung für Diskotheken („Fachinfosystem Bp NRW“), die nur im innerdienstlichen Intranet abrufbar war. Der klagenden Diskothek stellte es diese Quelle nicht zur Verfügung.

Der BFH hob das FG-Urteil mit Beschluss vom 28.5.2020 (Az.: X B 12/20) auf. Der Rückgriff des FG auf eine innerdienstliche Erkenntnisquelle der Finanzverwaltung stelle eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Dieser Anspruch umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor dem Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Gerichte sind daher verpflichtet, die Beteiligten über alle für ihre Entscheidung zur Verfügung stehenden Tatsachen und Beweisergebnisse uneingeschränkt zu informieren. Diesen Anforderungen ist das FG nicht gerecht geworden, da es den angesetzten Rohgewinnaufschlagsatz von 300% in entscheidungserheblicher Weise mit den Erkenntnissen aus der innerdienstlichen Erkenntnisquelle begründet hatte. Das FG hatte die Inhalte dieser internen Richtsatzsammlung nicht gegenüber der Diskothek offengelegt, so dass es dieser verwehrt blieb, zu den Inhalten entsprechend Stellung zu nehmen.

Der BFH stellte aber klar, dass die Finanzverwaltung für Schätzungszwecke durchaus eigene, interne Datenbanken aufbauen und verwenden darf. Greift aber ein Gericht auf diese Datensammlungen zurück, muss es das geprüfte Unternehmen in der rechtlich gebotenen Weise in den gleichen Kenntnisstand wie den Prozessgegner (das Finanzamt) versetzen. Insoweit verwies der BFH auf die Wahrung der prozessualen Waffengleichheit. Nun liegt es am FG, den angesetzten Rohgewinnaufschlagsatz entweder zu ändern oder transparenter zu begründen.

Quellenverweis bei Hinzuschätzung in Betriebsprüfung

Gerichte haben gemäß der Finanzgerichtsordnung nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden. Somit müssen bei der Entscheidungsfindung

  • Schriftsätze der Beteiligten,
  • deren Vorbringen in der mündlichen Verhandlung,
  • deren Verhalten,
  • die Steuerakten,
  • die beigezogenen Akten,
  • eingeholte Auskünfte,
  • Urkunden und
  • Beweisergebnisse

berücksichtigt werden. Der BFH hat nun aufgezeigt, welche Konsequenzen ein Verstoß gegen diese Grundsätze hat.

Im zugrundeliegenden Fall (Beschluss des BFH vom 23.4.2020, Az.: X B 156/19) waren die Feststellungen einer Betriebsprüfung in einem Eiscafé strittig. Aufgrund mehrerer formeller Kassen- und Aufzeichnungsmängel hatte der Prüfer eine „Ausbeutekalkulation“ vorgenommen und für seine Berechnung u.a. den Zuckereinkauf des Eiscafés zugrunde gelegt. Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) stufte das Schätzungsergebnis als rechtmäßig ein und erklärte, dass sich die vom Prüfer bei der Kalkulation zugrunde gelegten Zuckeranteile aus „allgemein zugänglichen Quellen im Internet“ ergäben.

Der BFH hob das finanzgerichtliche Urteil nun wegen eines Verfahrensmangels auf und verwies darauf, dass das FG seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen habe, weil es sich lediglich auf unbenannte Internetquellen berufen habe. Es war somit weder für die Prozessbeteiligten noch für den BFH überprüfbar, ob die in Ansatz gebrachten Zuckeranteile im Rahmen der Schätzung tatsächlich vertretbar waren.

Ausblick: Auch in diesem zweiten Fall hob der BFH das finanzgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zurück, weshalb das FG nun konkreter darstellen muss, aufgrund welcher Umstände es die zugrunde gelegten Zuckeranteile für rechtmäßig erachtete. Im ersten Fall ist zumindest eine transparentere Begründung hinsichtlich des anzuwendenden Zuschlagssatzes erforderlich.

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