Zum Inhalt springen

Sie sind hier:

Auf dem Weg zur Nachhaltigkeitsberichterstattung Teil II: Chancen und Herausforderungen für den Mittelstand

Im ersten Beitrag unserer dreiteiligen Reihe zur Nachhaltigkeitsberichterstattung haben wir Sie über die gesetzlichen Grundlagen und zukünftigen Veränderungen auf nationaler und europäischer Ebene informiert. Hier in Teil II werden die Chancen und praktischen Herausforderungen für den Mittelstand beleuchtet und Handlungsempfehlungen für die konkrete Ausgestaltung von Nachhaltigkeitsberichten gegeben. 

Chancen aus Sicht der Stakeholder

Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde – auch bei den Unternehmen. So gibt es kaum ein Unternehmen, das nicht das Thema zumindest auf seiner Homepage präsentiert. Empirische Studien zeigen zudem, dass auch die Anzahl von Nachhaltigkeitsberichten stetig zunimmt – insbesondere bei mittelständischen Unternehmen – und dass diese Berichte immer umfangreicher werden. 

Das verwundert nicht, denn bei der Entscheidungsfindung von (zukünftig) Mitarbeitenden, Kunden und Kapitalgebern spielen soziale und ökologische Aspekte inzwischen eine immer größere Rolle. Waren früher das Gehalt und der Dienstwagen für die Wahl des Arbeitgebers primär ausschlaggebend, werden heutzutage Flexibilität, Diversität und das Job-Ticket eher in den Vordergrund gestellt. Denn wozu benötigt man in der Großstadt einen Pkw, wenn man ein gutes ÖPNV-Netz hat? Und wenn es denn trotzdem sein muss, sollte der Pkw zumindest umweltfreundlich sein. Darüber hinaus interessieren sich Kunden immer mehr für die Bedingungen, unter denen Kleidungsstücke hergestellt werden. Im Zweifel entscheidet man sich eher für ein Produkt „Made in Germany“ als für eines aus einem Land, dessen Arbeitsbedingungen man kritisch gegenübersteht oder nicht einschätzen kann. In Zeiten eines grenzenlosen Angebots möchten Kunden bzw. Kundinnen, dass der Konsum mit dem persönlichen Gewissen vereinbar ist. 

Zudem achten auch Kapitalgebende – sei es in Form von privaten Investoren, institutionellen Anlegern und/oder Banken – auf die Nachhaltigkeit ihrer Kapitalanlagen. So haben Anleger mittlerweile die Möglichkeit, explizit nachhaltige Investments zu tätigen, und den Banken wird seitens der EU-Kommission ins Pflichtenheft geschrieben, bei der Darlehensvergabe zukünftig auf die Nachhaltigkeit der Darlehensverwendung zu schauen. 

Hinweis: Die Folge in der Praxis: Der Darlehenszins für das emissionsfreie Fahrzeug wird im Zweifelsfall niedriger ausfallen als für das gleiche Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. 

Umsetzung in der Unternehmensführung

Sich mit diesen Anforderungen rechtzeitig aktiv auseinanderzusetzen, heißt aus Sicht der Unternehmensführung, die Zukunftsfähigkeit des eigenen Geschäftsmodells und der Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen. Dabei sind Transparenz und Glaubwürdigkeit wichtig, da ansonsten das Risiko des „Greenwashing“ besteht, wodurch ein Imageschaden entstehen kann. 

Obgleich die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen zunächst mit Kosten verbunden sein wird, wird man früher oder später auf der Gewinnerseite stehen. Denn der bewusste Umgang mit natürlichen Ressourcen führt meist zur Entdeckung eines Einsparpotenzials oder stößt innovative Entwicklungen an, wie beispielsweise die Substitution von Gas durch Wasserstoff, von denen man nachhaltig profitiert. Zudem steigt die eigene Reputation verbunden mit den o.g. Vorteilen bei Mitarbeitenden, Kunden und Kapitalgebern. Langfristig werden sich durch die nachhaltigere Unternehmensführung positive Auswirkungen hinsichtlich des Klimaschutzes und Klimawandels ergeben – auch zum Nutzen nachfolgender Generationen. 

Zwischenfazit: Somit harmonieren das Nachhaltigkeitsstreben bzw. die darüber informierende Nachhaltigkeitsberichterstattung ideal mit dem Verantwortungsbewusstsein, der Innovationskraft und der langfristigen Perspektive des deutschen Mittelstands, insbesondere bei Familienunternehmen. 

Herausforderungen im Rahmen der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Regulatorische Dynamik und erste Schritte

Es ist absehbar, dass die teilweise bereits gesetzlich verankerte Nachhaltigkeitsberichterstattung zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Damit einher gehen große Veränderungen für viele Unternehmen auf prozessualer und strategischer Ebene. Eine der grundlegendsten Herausforderung ist die Dynamik der gesetzlichen Anforderungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Daher dürfte es – insbesondere auch für Mittelständler – sinnvoll sein, die Anforderungen, die bereits abzusehen sind, proaktiv anzugehen. Dazu gehören z.B. eine Bewertung von Geschäftsbereichen, Produkten, geplanten Investitionen und Ausgaben bzgl. der Umweltverträglichkeit sowie eine aktuelle Wesentlichkeitsanalyse zur Feststellung der relevanten ESG-Themengebiete. Dabei sind die wechselseitigen Wirkungen des Unternehmens auf die Umwelt und die Gesellschaft zu beachten. 

In dieser Hinsicht empfiehlt sich der Dialog mit verschiedenen Stakeholdergruppen, um die Relevanz der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu sichern. Denn am Ende des Tages wird der Bericht für die interessierte Öffentlichkeit geschrieben und nicht für den Eigenbedarf. Aus der „Vogelperspektive“ lassen sich mögliche Themenbereiche für die Nachhaltigkeitsberichterstattung identifizieren und die Frage nach der größten Wirkung in puncto Nachhaltigkeit beantworten. 

Empfehlung: Nachhaltigkeitsziele sollten daher auch expliziter Bestandteil der Unternehmensstrategie sein, um klare Zielsetzungen für die Mitarbeitenden und andere Stakeholder kommunizieren zu können.

Mögliche Berichtsstandards

Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung besteht derzeit die Möglichkeit, einen Berichtsstandard frei zu wählen. Dieser dient dann als Leitfaden und Orientierungshilfe bei der Erstellung des Berichts. Etablierte und häufig angewendete Standards im Mittelstand sind der Deutsche Nachhaltigkeitskodex bzw. die Standards der Global Reporting Initiative (GRI). 

Aufgrund der Heterogenität der bestehenden Standards hat die EU-Kommission die European Financial Reporting Advisory Group mit der Ausarbeitung richtlinien- und taxonomiekonformer Berichtsstandards beauftragt. Zudem entwickelt das International Sustainability Standards Board Berichtsstandards, bei denen die Investorenperspektive zur Beurteilung des Unternehmenswerts im Vordergrund steht. Letztendlich bedienen aber alle Berichtsstandards – bestehende wie zukünftige – die drei Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, sodass hier keine fundamentalen Unterschiede bestehen werden.

Empfehlung: Da auch zukünftige Berichtsstandards Elemente aus bestehenden Konzepten übernehmen werden, ist es durchaus ratsam, sich jetzt schon mit dem Thema zu beschäftigen.

Entwicklung von ESG-Kennzahlen

Eine große Rolle in der Berichterstattung spielen die Nachhaltigkeitsziele sowie die Zielerreichung (zu einer Übersicht der sog. ESG-Kriterien siehe die Grafik in dem vorherigen Beitrag). Zur Fundierung dieser Ziele und deren Entwicklung im Zeitverlauf ist die Angabe von Kennzahlen sachdienlich. Dabei ist die Auswahl möglicher Kennzahlen branchen- und geschäftsmodellabhängig. Nichtsdestotrotz gibt es eine Vielzahl von universellen Kennzahlen, die bereits in vielen Unternehmen erfasst werden. Dazu gehören z.B. Angaben zur Geschlechterdiversität, Mitarbeiterfluktuation, zum Energie- und Wasserverbrauch, zu internen Kontrollen und zum Hinweisgebersystem sowie zur Anzahl von Datenschutz- und Complianceschulungen.

Ein vielverwendetes Beispiel aus dem Bereich der Umweltfaktoren ist die Messung von CO2-Emissionen. Neben der Messung der eigenen Emissionen besteht hier die größte Herausforderung im Einbezug der gesamten Wertschöpfungskette. Für die Unterteilung der Emissionen im Rahmen der Berichterstattung greifen Unternehmen oftmals auf das sog. Greenhouse Gas Protocol, das eine Zuordnung der verursachten CO2-Emissionen zu drei Bereichen (Scopes) vorsieht, zurück:

  • Scope 1: direkte Emissionen
  • Scope 2: indirekte Emissionen aus Erzeugung und Bezug von Energie
  • Scope 3: indirekte Emissionen entlang der Wertschöpfungskette (z.B. eingekaufte Materialien, Dienstreisen und Transport).

Hierbei kommt es nicht nur darauf an, interne Auswertungsmöglichkeiten zu schaffen, sondern auch Informationen von Lieferanten zu erhalten.

Neben den von den Unternehmen selbst festzulegenden Zielen und der Ableitung dazu passender Kennzahlen sieht die EU-Taxonomie für die berichtspflichtigen Unternehmen – das sind aktuell die kapitalmarktorientierten Unternehmen – zusätzlich die Angabe von drei Kennzahlen verpflichtend vor. Dabei handelt es sich um 

  • den Anteil der Umsatzerlöse,
  • den Anteil der Investitionsausgaben und
  • den Anteil der Betriebsausgaben, 

jeweils im Zusammenhang mit Vermögensgegenständen und Prozessen, die mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltig einzustufen sind. 

Hinweis: Die Ermittlung dieser Kennzahlen erfordert eine detaillierte Analyse der Wirtschaftstätigkeiten des Unternehmens und bedingt ggf. Umstrukturierungen in der Kostenrechnung.

Notwendige Strukturen für die Berichterstattung

Da es sich oftmals um Informationen aus verschiedenen Unternehmensbereichen handelt und Nachhaltigkeit Schnittstellen zu vielen Bereichen aufweist, sind die Zuweisung von Verantwortlichkeiten und die Bildung von interdisziplinären Teams unerlässlich (Produktion, Vertrieb, Recht, Einkauf, Marketing, Personalwesen, Finanzen, Technik, Qualitätsmanagement, Forschung & Entwicklung etc.), damit die rechtzeitige Bündelung von Informationen gelingt und diese in ein einheitliches Format gebracht werden. Es sind ein umfangreiches Datenerfassungs- und Berichtswesen sowie Monitoring-Instrumente erforderlich. In den Nachhaltigkeitsberichten erleichtern grafische und tabellarische Darstellungen die Aufbereitung komplexer Daten und gewährleisten die Übersichtlichkeit im Hinblick auf Entwicklungen. Auch Verweise auf Stellen in dem Nachhaltigkeits- bzw. Geschäftsbericht ermöglichen es dem Leser, Informationen besser aufzufinden und zu verknüpfen.

Fazit und Ausblick: Aufgrund der regulatorischen Dynamik und der dadurch entstehenden Veränderungen für Unternehmen ist es ratsam, sich frühzeitig auf die künftigen Berichtsanforderungen vorzubereiten und bestehende Strukturen anzupassen, um einen sonst möglichen Zeitdruck zu vermeiden. In dem nächsten und letzten Teil dieser Reihe sollen praktische Einblicke in die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts für KMU gewährt werden. 

Zurück zur Übersicht
Zurück zum Seitenanfang